Page 78 - edlake Magazin – Ausgabe Sommer 2025
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Kolumne
Wanderdachshund
Sommertagebuch
ZWEIMAL GELEBT“ – Jessamyn West. Wenn das
MENSCHEN, DIE TAGEBÜCHER FÜHREN, HABEN
kein Grund ist, sofort den Stift in die Hand zu
nehmen – oder in heutigen Zeiten eher die
Tastatur oder eine App. Ich persönlich bevorzuge Pfotenspuren
im Sand, aber man hat mir erklärt, dass das nicht ganz das
Gleiche ist. Und obwohl ich nicht schreiben kann, führe ich
dennoch in meinem Herzen ein Dackeltagebuch. Darin steht
alles, was mir wichtig ist: die besten Gerüche des Tages, wo
das Eichhörnchen zuletzt gesichtet wurde und welche Bank im
Dorf das bequemste Sonnenplätzchen bietet.
Der Sommer eignet sich besonders gut für das Festhal-
ten solcher Gedanken. Alles ist intensiver: die
Farben, die Düfte, die Begegnungen. Und
vielleicht gerade, weil der Sommer oft
so flüchtig erscheint, lohnt es sich,
ihn festzuhalten. Mit Worten, mit
kleinen Zeichnungen, mit Fotos
oder eben mit dem, was euch
bewegt. Es geht nicht darum,
große Literatur zu schreiben.
Es geht darum, euch selbst zu-
zuhören. Denn wer regelmäßig
schreibt, kommt sich selbst
näher – erkennt Gedanken-
muster, sortiert Gefühle, findet
Worte für das, was sonst diffus im
Inneren bleibt.
Tagebuchschreiben ist wie eine kleine
tägliche Therapieeinheit. Ohne Wartezim-
mer, ganz für euch allein. Es schafft Struktur
in schwierigen Zeiten, klärt innere Konflikte, hilft beim
Verarbeiten von Stress oder Überforderung. Studien zeigen,
dass Schreiben emotionale Selbstregulation fördert und das
Stresserleben deutlich senken kann.
„So wie ein guter Regen die Luft reinigt, reinigt ein guter
Schreibtag die Psyche“, sagt Julia Cameron – und ich stimme
ihr zu. Auch wenn ich persönlich lieber durch den Regen renne,
anstatt zu schreiben, beobachte ich doch täglich, wie meine
Menschen nach dem Schreiben aufatmen. Als hätten sie etwas
geordnet, was zuvor wirr war. Als hätten sie sich selbst wieder
ein kleines Stück besser verstanden.
Gerade in einer Welt, die laut, schnell und voller Erwartungen
ist, kann das Tagebuch ein Rückzugsort sein – ein sicherer
Raum, in dem ihr niemandem gefallen müsst. Nur euch selbst.
Wer regelmäßig schreibt, kultiviert Achtsamkeit, Selbstem-
pathie und innere Klarheit – Fähigkeiten, die wie ein innerer
Kompass wirken, wenn das Außen zu viel wird.
Und es gibt noch einen ganz praktischen Grund fürs Schreiben:
das Erinnern. An den Sonnenstrahl, der euch an einem müden
Morgen ins Gesicht gefallen ist. An das Lachen mit einer
Freundin auf der Picknickdecke. An den Moment, als ihr im See
geschwommen seid, obwohl das Wasser eigentlich noch zu
kalt war. An all die kleinen Dinge, die für einen Augenblick das
Leben schöner gemacht haben.
Ihr glaubt vielleicht, ihr werdet euch ewig
an die Details erinnern – aber ich kann
euch sagen: Selbst der beste Spür-
hund vergisst manchmal, wo er den
Knochen vergraben hat. Ein Tage-
buch ist wie ein Schatzkästchen,
in dem eure Erinnerungen
sicher aufbewahrt werden. Für
Regentage, für später, für euch
selbst – und wenn ihr es teilen
wollt, auch für diejenigen, die
euch sehr liebhaben.
Denn, wie Louisa May Alcott
so schön sagte: „Bewahre deine
Erinnerungen, bewahre sie gut auf,
was du vergisst, kannst du nie wieder
erzählen.“ In diesem Sinne: Schreibt, was
euch bewegt. Schreibt auf, was euch zum Lä-
cheln bringt, was euch traurig stimmt oder was ihr nie
verlieren wollt. Der Sommer ist kurz, aber die Geschichten, die
ihr daraus macht, bleiben. Und vielleicht, wenn ihr das nächste
Mal in der Hängematte liegt, mit dem Dackel zu euren Füßen
und einem Notizbuch auf den Knien, werdet ihr merken: Ihr lebt
gerade zweimal. Und das, meine Freunde, ist echtes Glück.
Ihr könnt mich gerne bei meinen Abenteu-
ern am Edersee und in der weiten großen
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